Die Nagra hat im Entsorgungsprogramm 2021 als Vorarbeit zur Erstellung eines Konzepts für das Rahmenbewilligungsgesuch mögliche Verschlussvarianten aufzuzeigen und zu vergleichen.
Für das Rahmenbewilligungsgesuch wird gemäss Art. 23 KEV u.a. ein Konzept für den Verschluss des geologischen Tiefenlagers in der Schweiz gefordert. Der Plan für den Verschluss wird gemäss Art. 16 Abs. 1 Bst. e KEG und Art. 24 KEV dagegen erst für die Baubewilligung benötigt. Zum Verschlusskonzept gehört die Entwicklung eines nach dem Stand der Technik und Wissenschaft zweckmässigen Systems, welches robust ist und in Anbetracht des langen Zeithorizonts bis zum definitiven Verschluss einen angemessenen Handlungsspielraum zur Berücksichtigung späterer Optimierungen bietet.
Die Einhaltung bzw. Sicherstellung der Langzeitsicherheit ist die wichtigste Anforderung an das zu erarbeitende Konzept und somit an das Verschlusssystem. Die sukzessive Verfüllung und Versiegelung der Lagerstollen/-kavernen, der Zugangsbauwerke und der abschliessende Gesamtverschluss des geologischen Tiefenlagers für radioaktive Abfälle sind mehrheitlich Bestandteile des Mehrfachbarrierensystems und tragen dazu bei, dass der Transport von Radionukliden aus den untertägigen Anlagenelementen verhindert bzw. minimiert wird.
Als Vorarbeit zum geforderten Konzept für das RGB und im Hinblick auf die Bundesratsauflage 5.4 hat die Nagra einen Hintergrundbericht (Nagra 2021e) erarbeitet. Dieser Bericht beschreibt ein standortunabhängiges Verschlusskonzept. Es werden die wichtigsten gesetzlichen Vorgaben, die an den Verschluss gestellt werden, erörtert und die Anforderungen aus der Langzeitsicherheit an den Verschluss stufengerecht beschrieben. Aus den übergeordneten Anforderungen werden Auslegungs- und Dimensionierungsgrundsätze für die Konzipierung des Verschlusses abgeleitet. Mit diesen Grundsätzen werden Konzepte für alle Versiegelungsbauwerke erarbeitet und diese für den jeweiligen Einsatzort (Lagerkammern, Lagerfelder und Zugangsbauwerke) grob vordimensioniert. Es werden unterschiedliche bautechnische Varianten für die Ausführung der Versiegelungen entwickelt, die zusammen ein breites Spektrum zu erwartender geologischer Randbedingungen abdecken und zur Erfüllung von Sicherheitsfunktionen der Langzeitsicherheit beitragen. Geotechnischen Gefährdungen wird dadurch so begegnet, dass Auswirkungen auf die Langzeitsicherheit vermieden werden.
Die Planung des zeitlichen Ablaufs des Verschlusses, für den gemäss Bundesratsauflage 5.4 Varianten untersucht werden sollen, muss sich in den Realisierungsplan des Kombilagers (Nagra 2021a) einfügen und den Anforderungen der Langzeitsicherheit, der Betriebssicherheit und des Strahlenschutzes Rechnung tragen. Aus Sicht der Langzeitsicherheit ist es wünschenswert, möglichst schnell eine passive Sicherheit herzustellen, d.h. das Tiefenlager zu verfüllen und Versiegelungsbauwerke zu errichten. Für den Strahlenschutz und die Betriebssicherheit ist dies ebenfalls vorteilhaft. Für die HAA-Lagerstollen ist die Versiegelung unmittelbar nach Einlagerungsende vom ENSI vorgeschrieben (Art. 7.3a ENSI-G03, (ENSI 2020b)). Aus Sicherheitsüberlegungen ist ein identisches Vorgehen auch für die SMA-Lagerkavernen vorgesehen. Der Anforderung, die Rückholung "ohne grossen Aufwand" sicherzustellen, wird ebenfalls Rechnung getragen. Solange das geologische Tiefenlager zugänglich ist, bleibt der Aufwand zum Entfernen von errichteten Verfüllungen und Versiegelungen im Vergleich zum Gesamtaufwand für eine Rückholung klein.
Die im KEG vorgeschriebene Beobachtungsphase (Planungsannahme: Dauer ca. 50 Jahre) dient der Überwachung ausgewählter Aspekte des Sicherheitsnachweises. Die Beobachtung findet im Wesentlichen in den Kontrollstollen der HAA- und SMA-Pilotlager statt, die während des gesamten Beobachtungszeitraums zugänglich bleiben. Verschlussvarianten umfassen daher nur verschiedene Verschlusszeitpunkte für die HAA- und SMA-Lagerfeldzugänge und für die Zugänge zu den Pilotlagern.
Es ist eine erste Beobachtungsphase vorgesehen, für die als Planungsannahme im EP21 eine Dauer von ca. 10 Jahren postuliert wird. In dieser ersten Beobachtungsphase werden die Lagerfeldzugänge bis zu den Versiegelungen der Lagerkammern offengehalten und die dortigen Versiegelungen beobachtet. Nach erfolgreichem Abschluss dieser ersten Phase werden die Lagerfeldzugänge verfüllt und versiegelt. Eine Verlängerung oder Verkürzung der ersten Beobachtungsphase ist prinzipiell möglich und hat grundsätzlich keinen Einfluss auf die Langzeitsicherheit. Der Strahlenschutz ist zu jedem Zeitpunkt aufgrund des frühzeitigen Verschlusses der Lagerkammern sichergestellt. Ein regulärer Unterhalt der noch offenen untertägigen Bauwerke trägt zur Betriebssicherheit bei.
Im Hintergrundbericht werden in Anlehnung an die Bundesratsauflage 5.4 die im EP21 dargestellten Planungsannahmen mit Varianten verglichen. Nach heutiger Einschätzung stellt der Ablauf zum Verschluss des geologischen Tiefenlagers, wie er im Realisierungsplan (Nagra 2021b) dargestellt ist, die derzeit beste Lösung dar, da er unterschiedliche Anforderungen ausgewogen berücksichtigt. Im Laufe der weiteren Konzeptentwicklung bis zum RBG und darüber hinaus werden weitere Varianten untersucht, und das Konzept wird optimiert.
Für die bauliche Umsetzung gelten folgende Anforderungen:
1. Handhabung der Materialien
Anforderung: Sämtliche Verfüll- und Versiegelungsmaterialien sind so zu transportieren und zu lagern, dass die geforderten Eigenschaften gewährleistet werden.
Massnahme: Um die quellfähigen Baumaterialien mit dem erforderlichen Quellpotenzial einzubauen, muss eine trockene Lagerung sowie ein Transport bei geringer Luftfeuchtigkeit bzw. in dichter Verpackung sichergestellt werden.
2. Vollständige Hohlraumverfüllung mit geforderter minimaler Raumdichte und Homogenität pro Element oder Strecke
Anforderung: Sämtliche Verfüll- und Versiegelungsmaterialien sind so einzubringen, dass keine Hohlräume verbleiben, die geforderte minimale Raumdichte pro Streckenabschnitt erreicht wird und die Verdichtung über den Querschnitt möglichst homogen ist.43
Massnahme: Voraussetzungen für einen zuverlässigen Einbau sind neben einer guten Zugänglichkeit für Einbring- und Verdichtungsgeräte – sofern möglich (siehe Kapitel 5) – eine gleichmässige Ausbruchlaibung ohne grosse Sprünge und Einbauten.
3. Standsicherheit und Auflockerung der Tunnellaibung
Anforderung: Die Laibung bzw. die Umgrenzungslinie des Hohlraums muss während des Einbaus von Verschlusskomponenten in ihrer Lage stabil und standsicher sein (d.h. zu keinen bzw. nur sehr kleinen Deformationen führen und eine ausreichende Sicherheit gegen Niederbrüche gewähren). Ausbruchsnahe stark aufgelockerte Gebirgsbereiche sind möglichst zu minimieren.
Massnahmen: Ungesicherte Längen bzw. Flächen sind entsprechend den Gebirgsverhältnissen so zu wählen, dass der Opalinuston für die Dauer des Einbaus der Verschlusskomponente standfest bleibt. Durch die Auslegung der verbleibenden Ausbauelemente sind die Gebirgsverformungen während des Einbaus der Verschlusskomponenten zu minimieren. Bauverfahren und Massnahmen sind so zu wählen, dass im Bereich der Verschlusskomponenten stark aufgelockertes Gebirge minimiert wird.
4. Ebene und saubere Oberfläche der Umgrenzungsfläche des Hohlraums
Anforderung: Die Oberfläche der Umgrenzungsfläche soll eben, frei von losen Bestandteilen und trocken sein.
Massnahmen: Grosse Unebenheiten oder Absätze erschweren den vollständigen und verdichteten Einbau von Schüttmaterial. Lose Bestandteile sind vor dem Einbau zu entfernen. Trockenheit kann im Opalinuston vorausgesetzt werden.
5. Lichtraumprofil und Zugänglichkeit
Anforderung: Ausreichendes Lichtraumprofil und Zugänglichkeit für den Einbau der Verfüllung unter Wahrung der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes
Massnahmen: Der betriebssichere Zugang mindestens von einer Seite zur Verfüll- bzw. Einbaufront ist zu gewährleisten. Die Arbeitsfront muss sonderbelüftet werden.
6. Dauerhaftigkeit des Ausbaus/ Verhalten der mechanischen Stützung der Verfüllung
Anforderung: Der Ausbau der Verfüllstrecken erfüllt die Stützwirkung so lange, bis die hohe Schüttdichte oder der Quelldruck der Verfüllung die Stützwirkung übernimmt.
Massnahmen: Die Nutzungsdauer des Ausbaus muss so ausgelegt werden, dass der Ausbau die Stützwirkung aufrechterhält, bis der entsprechende Abschnitt verfüllt und durch ein Widerlager begrenzt wird. Die erreichbare mittlere Schüttdichte der Verfüllung in den horizontalen Tunneln ist limitiert. Aber selbst wenn die Ausbruchsicherung versagt, bevor ein Quelldruck aufgebaut ist, lässt sich die Verfüllung bei den erwarteten Spannungsverhältnissen nicht wesentlich weiter verdichten, als es beim Einbau technisch möglich ist. Für den Fall, dass der Ausbau versagt, bevor ein Quelldruck aufgebaut ist, verengt sich daher der Hohlraum nur geringfügig, bis wieder ein Gleichgewicht mit der Verfüllung erreicht wird.
7. Quellfähiges Dichtelement
Anforderung: Das Material des Dichtelements muss, um die dichtende und langfristig gebirgsstützende Wirkung zu erreichen, quellfähig sein.
Massnahmen: Einsatz eines tonreichen Materials und Gewährleistung eines ausreichenden, gleichmässigen Feuchtigkeitseintrags. Siehe auch Überlegungen unter Punkt 1 und Punkt 2.
8. Kontrollierte Klima- bzw. Feuchtigkeitsverhältnisse während des Einbaus der Dichtelemente
Anforderung: Die Luftfeuchtigkeit ist konstant so gering zu halten, dass tonreiches Versiegelungs- und Verfüllmaterial nicht vor oder während des Einbaus zu quellen beginnt.
Massnahmen: Geeignete klimatische Bedingungen sind durch das Lüftungs- und Kühlungskonzept zu gewährleisten. Eine entsprechende maximal zulässige Luftfeuchtigkeit wurde beispielsweise im FE-Experiment im Felslabor Mont Terri für vorgefertigte Bentonitblöcke Nagra (2019) ermittelt. Es ist aber zu beachten, dass die Entfeuchtung nicht dazu führen darf, dass der Opalinuston übermässig austrocknet.
9. Anforderungen an die Materialisierung
Anforderungen: Es dürfen nur Einbaumaterialien verwendet werden, welche die Anforderungen aus der Langzeitsicherheit erfüllen. Die Komponenten des Verschlusssystems sollen geeignete geochemische Eigenschaften aufweisen, welche sowohl mit dem jeweils angrenzenden Gesteinsbereich als auch mit den jeweils angrenzenden technischen Komponenten über den gesamten Betrachtungszeitraum verträglich sind (siehe Abschnitt 2.6).
Massnahmen: Für die Komponenten des Verschlusses sollen bewährte, ausreichend verfügbare Materialien sowie bewährte Einbaumethoden und -geräte verwendet werden. Die Beurteilung, was an dieser Stelle unter "bewährt" zu verstehen ist, darf jedoch nicht zu unzweckmässigen Einschränkungen führen. Sonderanfertigungen, Neu- und Weiterentwicklungen sind grundsätzlich möglich. Die Eignung wird in vorgesehenen Demonstrationen in den Testbereichen nachgewiesen (2021b). Technische Fortschritte bis zum tatsächlichen Einsatz in einigen Jahrzehnten sind sukzessive zu berücksichtigen und zu begrüssen.
10. Vermeidung Kolloidmobilisierung infolge Wassersickerpfade
Anforderung: Der Aufbau der Versiegelungsbauwerke hat sicherzustellen, dass bei einem Druckgradienten kein tonreiches Dichtmaterial durch Mobilisierung ausgewaschen werden kann.
Massnahmen: Dies kann durch eine gleichmässige Beaufschlagung der Wasserdrücke auf den Bauwerksquerschnitt erreicht werden (z.B. durch Übergangsschichten inkl. Filterschichten bzw. Äquipotenzialschichten). Die Entstehung von präferierten Fliesspfade ("Fingering") können durch in regelmässigen Abständen eingebaute Filterschichten unterbunden werden.
11. Widerstand gegen lager- und portalseitige Lasten
Anforderung: Das Versiegelungsbauwerk soll sowohl portalseitigen Lasten, z.B. infolge eines anstehenden Wasserdrucks, als auch lagerseitigen Lasten infolge des Quellens der Verfüllung des Versiegelungsbauwerks bzw. der Lagerkammern und Lagerzugänge standhalten.
Massnahmen: Um sowohl die portal- als auch die lagerseitigen Lasten in das Wirtgestein abzuleiten, sind entsprechende Widerlager zu errichten.